Forschungsfahrzeug ESF 2009 von Mercedes. Interview mit Prof. Dr. Ing. Rodolfo Schöneburg


mercedes Forschungsfahrzeug ESF 2009. foto: autodino/mercedes


Zum Forschungsfahrzeug ESF 2009 von Mercedes – das Experimentelle Sicherheitsfahrzeug ESF 2009, das Mercedes bei der ESV-Sicherheitskonferenz in der kommenden Woche in Stuttgart präsentieren wird

„Noch viele Ideen für mehr Sicherheit“
Interview mit Prof. Dr. Ing. Rodolfo Schöneburg, Leiter Sicherheitsentwicklung, Mercedes-Benz Cars

Prof. Dr. Ing. Rodolfo Schöneburg wurde am 30. Oktober 1959 geboren, studierte Luft- und Raumfahrttechnik und promovierte an der Technischen Universität Berlin. Er ist Inhaber einer Honorarprofessur an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Dresden. Seit April 1999 ist er bei Mercedes-Benz als Centerleiter Sicherheit/Fahrzeugfunktionen tätig. Unter seiner Leitung ging 2002 das präventive Insassenschutzsystem PRE-SAFE® in Serie, mit dem Mercedes-Benz in eine neue Ära der Fahrzeugsicherheit startete. Im Gespräch äußert sich Prof. Schöneburg zum Experimental-Sicherheits-Fahrzeug ESF 2009…

Frage: Herr Prof. Schöneburg, im Zeitraum von 1971 bis 1974 hat Mercedes-Benz der Öffentlichkeit vier Experimental-Sicherheits-Fahrzeuge (ESF) präsentiert. Danach war Funkstille. Warum?
Prof. Schöneburg: Ende der 60er-Jahre rückte die Fahrzeugsicherheit vehement in das Blickfeld der Öffentlichkeit. 1969 wurde das Mercedes-Benz Sicherheitszentrum in Sindelfingen gegründet. Eine Vielzahl von Entwicklungen wurde angestoßen, von der Aktiven Sicherheit mit ABS und ESP® über tiefgreifende Verbesserungen der Fahrzeugstruktur bis hin zu innovativen Rückhaltesystemen wie dem Airbag. Dies alles haben wir in unseren ESF erprobt und präsentiert. Ab Mitte der 70er-Jahre erreichten die Innovationen zunehmend Serienreife. In der Folge fand die Präsentation im Zusammenhang mit der Vorstellung neuer Serienfahrzeuge statt.


mercedes Forschungsfahrzeug ESF 2009. foto: autodino/mercedes

Frage: Und wieso stellen Sie jetzt wieder ein Forschungsfahrzeug vor, das ESF 2009?
Prof. Schöneburg: Intern und extern ist durch die Fülle der Sicherheitsfeatures, die wir heute in unseren Serienfahrzeugen haben, der Eindruck entstanden, hier sei nicht mehr viel Neues zu erwarten. Diese Wahrnehmung ist falsch – wir haben noch eine große Fülle von Ideen, wie die Sicherheit weiter verbessert werden kann. Manches davon kann in relativ kurzer Zeit verwirklicht werden, etwa das Heckaufprall-PRE-SAFE®. Andere Konzepte wie die aufblasbaren Metallstrukturen PRE-SAFE® Structure reichen weit in die Zukunft. Und mit der Interactive Vehicle Communication beginnen wir, ein völlig neues Feld zu erschließen. All diese Perspektiven stellen wir mit dem ESF 2009 ganzheitlich vor. Hinzu kommt, dass wir zur Sicherheitskonferenz ESV, die jetzt zum ersten Mal seit 1971 wieder in Stuttgart stattfindet, ein Zeichen setzen wollten.
Frage: Was zeichnet das ESF 2009 besonders aus?
Prof. Schöneburg: Genau wie bei den ESF der 70er-Jahre ist dies der ganzheitliche Ansatz unserer Sicherheitsphilosophie. Es geht zunächst darum, Unfälle zu vermeiden. Gelingt dies nicht, ist das Ziel, die Unfallfolgen zu mildern. Und beiden Zielen wollen wir näher kommen, ohne das Fahrzeuggewicht zu erhöhen, seine Nutzbarkeit einzuschränken oder die Autonomie des Fahrers zu beeinträchtigen. Er oder sie tragen letztlich die Verantwortung – dabei soll das Fahrzeug unterstützend wirken.
Frage: Welche neuen Ideen stecken denn im ESF 2009, um Unfälle möglichst zu vermeiden?
Prof. Schöneburg: Das ist einmal der Ansatz „sehen und gesehen werden“. Die LED-Scheinwerfer des ESF 2009 leuchten die Fahrbahn nicht nur besser und weiter aus, sondern sie verhindern gleichzeitig die Blendung anderer erkannter Verkehrsteilnehmer. Ganz neu ist die Spotlight-Funktion: Dabei werden Hindernisse oder Objekte, die von der Nightvision-Infrarot­kamera erkannt werden, punktgenau angeleuchtet. Durch neuartige seitliche Reflexionsstreifen, die bei Tag das Design der Karosserie nicht beeinträchtigen, ist das ESF 2009 außerdem in der Dunkelheit für andere Verkehrsteilnehmer viel leichter wahrnehmbar. Eine Technik, von der wir uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten sehr viel versprechen, ist die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander. So wird es möglich, Fahrer situationsbezogen vor Gefahren auf ihrer Strecke zu warnen.


mercedes Forschungsfahrzeug ESF 2009. foto: autodino/mercedes

Frage: Neben hoch entwickelten Rückhaltesystemen besitzen Mercedes-Fahrzeuge mit PRE-SAFE® ein präventives Sicherheitssystem, das eine drohende Kollision erkennen und durch eine Vielzahl von Aktionen bis hin zu einer Vollbremsung die Folgen eines Unfalls mildern kann. Sind hier denn wirklich noch signifikante Verbesserungen des hohen Standards möglich?
Prof. Schöneburg: Oh ja. Grundlage von PRE-SAFE® ist ja die Vernetzung einer Vielzahl von Sensoren und Systemen im Fahrzeug. Und da haben wir noch eine Menge Ideen zur Weiterentwicklung. Zum Beispiel beim Seitenaufprall: Mit Hilfe von Luftkammern in den Sitzen könnte man die Passagiere ein Stück weit aus der Gefahrenzone rücken. Über Verbesserungen beim Heckaufprall haben wir bereits gesprochen. Und der Braking Bag ist ein völlig neuer Ansatz, vor dem Aufprall entscheidend Energie abzubauen.
Frage: Auf den ersten Blick eine verrückte Idee – mit einem Airbag eine Bremsplatte unter dem Auto auf die Straße zu drücken und so zusätzlich zu bremsen…
Prof. Schöneburg: …ungewöhnlich sicherlich, aber nicht verrückt. Erste Prinzipversuche haben gezeigt, dass erhebliches Potenzial in dieser Idee steckt. Dieses Potenzial werden wir in den nächsten Jahren erforschen und weiter entwickeln.

Wir sind gespannt und danken für dieses Gespräch.

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