Weg mit Auto-Pendlern! Oder her mit der Parkkohle!

wriedelWolfram Riedel. Foto: Auto-Reporter.NET

Glosse: Berlin intim

Nein, Jens-Holger Kirchner muss man nicht kennen. Aber vielleicht sollte man sich fortan diesen Namen merken. Nicht deshalb, weil er Stadtrat von Berlin-Pankow und ein Grüner ist. Das kann schon mal passieren. Man muss sich damit abfinden. An andere Seltsamkeiten in Deutschlands Metropole, ja im ganzen Land, haben wir uns ja auch schon gewöhnt. Jedenfalls fast. Und schließlich ist es ja nicht so, als wüte ein Tsunami, wenn Berlin mal nicht Schwarz oder Rot sieht, was ja ohnehin immer mehr aufs selbe hinausläuft. Lockendem Grün zu verfallen, ist ja an sich noch keine Sünde. Im Berliner Abgeordnetenhaus rankt jedenfalls Grün, als habe es schon vorab Wählerstimmen-Dünger abbekommen…

Grün, heißt’s, sei die Hoffnung. Na bitte! Kein Wunder also, wenn der eben erwähnte Jens-Holger K., übrigens Jahrgang 1959, drei Kinder, zwei Enkel (Google weiß fast alles), endlich mal was richtig Tolles, sozusagen was Saftgrünes vom Stapel lassen möchte. Das Ding, das er drehen will, heißt „großflächige Parkraumbewirtschaftungszone“. In Berlin. Ist ja klar. Damit aber meint er nicht etwa, was man irgendwie verstehen könnte, dass das verwaiste Tempelhofer Flugfeld zum kostenfreien Großparkplatz erklärt werden soll, solange dort noch keine Immobilienhaie mit ihrer Ideenfracht anlanden. Und in den Sinn käme einem Grünen ja von vornherein nicht, die alltägliche sommerliche Flugfeldidylle unzähliger grillender Mitbürger, augenscheinlich vorwiegend ausländischer Herkunft, auch nur anzutasten.

Auch würde sich ein Grüner vermutlich doch im inzwischen hohen Gras schützend vor die Vögel werfen, die dort erdnah brüten und dafür seit dem Ende der Fliegerei ein abgestecktes Terrain des Flugfeldes ganz für sich allein beanspruchen dürfen. Nein wirklich, über den ungestörten Frohsinn rund um dampfende Grillwürste und die geschützte Vogelbrut möge weiterhin die eigens zusammengestellte Fahrradstaffel des Ordnungsamtes wachen. Der Tempelhofer Airport-Brache könnte weit Schlimmeres passieren.

Aber es ging ja um den Grünen Jens-Holger. Mehr, nein ein ganzes Heer von Parkscheinautomaten will er in Berlin aufstellen. Und die sollen nicht etwa nur – wie derzeit üblich – mit einem lächerlichen Euro pro Parkstunde gemästet werden. Den Tarif hält der Pankower Stadtrat offenbar für eine Lachnummer. Vor schweben ihm drei Euro pro Stunde. „Welch göttlicher Einfall!“, jauchzt da der Stadtkämmerer. Fünf Cent pro Minute! Kann eine Großstadt, die leere Kassen verwaltet, bei solchen Aussichten auch nur überlegen, Nein zu sagen?

Vor allem auf die Pendler-Autos hat es Kirchner abgesehen, die von Montag bis Freitag in Spreeathen einfallen, um arbeitsame Randberliner zu ihrer Wirkungsstätte zu bringen. J.-H. K., seinen vollen Namen kennen wir ja nun, packt der Ehrgeiz, möglichst viele, am besten gleich alle Autos von den Straßen innerhalb des S-Bahn-Rings verschwinden zu lassen. Wozu seien denn die öffentlichen Verkehrsmittel da, raunzt er die namenlosen Pendler als Verfechter individueller Mobilität an.

Der Mann hat keine Fantasie. Er kann sich offenbar nicht vorstellen, dass Tausende Auto-Pendler Tag für Tag bewusst das Auto wählen und selbst den teuersten Sprit tanken, nur damit einen Pankower Stadtrat die Wut packt. Ohne Zweifell ein Fall für späte Aufklärung. Pendler schätzen es eben, bis zum Ziel – auch im Stau – einen Sitzplatz zu haben, den ihn Bahnen und Busse im Berufsverkehr kategorisch verwehren. Und auch das scheint sich noch nicht bis ins Pankower Rathaus herumgesprochen zu haben: Viele Pendler aus dem Berliner Umland kämen mit den gepriesenen öffentlichen Verkehrsmitteln gar nicht von ihrem Wohnsitz bis zur Arbeitsstelle und zurück, bestenfalls auf abenteuerlichen, zeitraubenden Umwegen.

Dass die deutsche Hauptstadt gerade dabei ist, den Berufspendlern mit Wohnsitz im Berliner Umland den Umstieg aufs Elektroauto schmackhaft zu machen, das ja ebenfalls immer auch einen Parkplatz braucht, scheint Stadtrat Kirchner entgangen zu sein. Oder gerade nicht? – Oh, dieses Schlitzohr! Wer mit Strom aus der Steckdose Auto fährt und keinen teuren Sprit tanken muss, der kann es sich ja wohl erst recht leisten, einen Parkautomaten kräftig zu füttern. Wieder mal zu früh gelästert. Entschuldigung, Herr Stadtrat! Es ist manchmal eben ein bisschen schwerer, selbst naheliegende Zusammenhänge zu erkennen. (Auto-Reporter.NET/Wolfram Riedel)

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