Nissans Beitrag zur Welt der Supersportwagen ist hierzulande ein absoluter Exot. Selbst Ferrari und Lamborghini konnten dieses Jahr in Deutschland mehr Zulassungen verbuchen und das, obwohl die einschlägigen italienischen Modelle das doppelte oder mehr kosten. Vom 2+2-Sitzer, dem die Fans den Beinamen „Godzilla“ verliehen, gab es im letzten Dreivierteljahr nur rund 125 Neuanmeldungen. Kein Wunder also, dass auch der Testwagen im Stadtbild unablässig Blicke auf sich zog. Die meisten werden das Auto wohl aus „The Fast and the Furious“ gekannt haben. Die beiden Adjektive aus dem Filmtitel, so viel sei schon verraten, treffen zu.
Ein Fall für hundert Oktan
Die massige Optik des Nissans täuscht: Die 1760 Kilogramm, mit denen der Testwagen auf die Waage rollte, sind ein guter Wert, das Leistungsgewicht beträgt damit 3,2 kg/PS. Besser wird der Wert sogar noch, wenn man den entwicklungstechnischen Kontext betrachtet. Bei Konzipierung des Wagens wusste man längst noch nicht so viel über Leichtbau, hochfeste Stähle, Verbundmaterialien und Sandwich-Verfahren wie heute. Als Schönling zu gelten wird der GT-R wohl in seiner Laufzeit nicht mehr erreichen, aber die maskuline bis martialische Linienführung ist angesichts der Leistungsdaten durchaus gerechtfertigt.
Nur nach vorn schauen
Für ein Sportcoupé dieses Zuschnitts bietet der GT-R erstaunlich viel Kofferraum: 315 Liter. Und da in den hinteren Sitzmulden besser niemand kauern sollte, ist sogar noch mehr Platz zum Verstauen von Gepäck nutzbar. Die Notwendigkeit für den wuchtigen Spoiler auf dem Heckdeckel ergibt sich aus dem erforderlichen Anpressdruck, den man in Tempobereichen jenseits 250 km/h haben sollte. Dass der Flügel die ohnehin dürftige Sicht nach hinten zusätzlich einschränkt, hat man bei Nissan bemerkt und spendiert serienmäßig eine Rückfahrkamera.
Die Wissenschaft der Physik ist für die meisten Menschen eine sehr theoretische Angelegenheit. Autos wie der GT-R machen sie erlebbar. Hinterm Steuer ist schon nach wenigen, straff gefahrenen Kilometern einzusehen, dass physikalische Grenzen nicht absolut, sondern relativ sind. Es ist relativ einfach, einen Kompaktwagen auf dem Wedelkurs zu Haftungsproblemen zu verleiten, aber es ist relativ schwierig, einen GT-R an den Rand des Kontrollverlusts zu treiben. Lenkpräzision, Spurtreue, der phänomenale Grip – es braucht keine Rennfahrer-Ausbildung, dies zu genießen. Beherztes Festhalten des wulstigen Lederlenkrades reicht in den meisten Fällen. Und wenn nicht, sind die Sechs-Kolben-Brembo-Bremsen der Anker, der das Boot im tosenden Sturm festhält.
Seltsames Geräusch-Repertoire
Langsam kann er nicht so gut. Das Rangieren erfordert einen recht hohen Kraftaufwand, hier wäre mehr Lenkunterstützung wünschenswert. Mehr als elf Meter Wendekreis liegen jenseits des Begriffs „handlich“. Wer Parktaschen frontal ansteuert, ruft sich vorsichtshalber die mächtige Bugschürze und den enormen Karosserieüberhang in Erinnerung. 94 Zentimeter sind es vorn. Gelegentliche Verspannungen im Antriebsstrang pflegen Kenner durch einen kurzen Tastendruck zu kurieren, der löst die hintere Differenzialsperre.
Im niederen Tempobereich unterhält der Wagen die Insassen mit einem verblüffenden akustischen Repertoire. Doch dem Mahlen und Rumoren, dem Schaben, Knirschen und Rasseln sollte man nicht all zu viel Aufmerksamkeit schenken. Ein Rennwagen für die Straße darf auch mal etwas unzivilisiert klingen, Godzilla tut das auf der Leinwand auch. Jeder, der die Anschaffung eines GT-R in Betracht zieht, wird wissen, dass der Nissan nicht als notorischer Getriebezerleger bekannt ist. Wenn es die Sechs-Gang-Doppelkupplungs-Schaltbox aber doch einmal erwischt hat, wird’s teuer. Ein Drittel des Neuwagenpreises sollte man kalkulieren.
Echte Sportwagenfahrer lassen sich aber nur selten von Kostenargumenten aufhalten. Ihnen geht es darum, zügig ums Eck zu kommen und das ist eine der Paradedisziplinen des GT-R. Angeblich soll ihn sein brachiales Spurtvermögen in unter drei Sekunden von null auf Hundert katapultieren, Belege aus neutralen Tests dafür fehlen. Aber statt sich auf statistische Fingerübungen einzulassen, genießt man lieber die archaische Eruptivität, mit der längs- und querdynamische Kapriolen die Adrenalinausschüttung anregen. Da sieht man gern darüber hinweg, dass die schwere Motorhaube nicht von Gasdruckdämpfern gehalten wird. Schließlich sind LED-Scheinwerfer, Bose-Soundsystem, Navigationssystem mit Spracherkennung, elektrisch einstell- und beheizbare Sitze, Fahrlicht- und Klima-Automatik serienmäßig an Bord.
Fazit: Ein supersportliches Coupé für einen vergleichsweise günstigen Preis – Punkt. Das ist der GT-R zu aller erst. Durchaus alltagstauglich und dem gemessenen Cruisen nicht abhold, offeriert er überragende Fahrleistungen in einer nur mäßig begeisternden Verpackung. Exklusivität ist garantiert und – etwas Geduld vorausgesetzt – einen Sonderstatus, wenn er zu den ersten Youngtimer-Rallye anrollt. (Axel F. Busse)(Fotos:Foto: Auto-Medienportal.Net/Busse)
Daten Nissan GT-R
Länge x Breite x Höhe (m): 4,67 x 1,90 x 1,37
Radstand (m): 2,78
Motor: V6-Biturbo-Ottomotor, 3799 ccm
Leistung: 405 kW / 550 PS bei 6400 U/min
Max. Drehmoment: 632 Nm bei 1750 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 315 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 2,7 Sek.
ECE-Durchschnittsverbrauch: 11,8 Liter
Testverbrauch: 12,8 Liter
Tankvolumen: 74 Liter
CO2-Emissionen: 275 g/km
Leergewicht / Zuladung: 1760 kg / 440 kg
Kofferraumvolumen: 315 Liter
Grundpreis: 96 900 Euro