Kia EV4 Vorstellung

KIA EV4 1

Kia EV4

Kia EV 4 im Test: Kompakter Stromer mit gemischter Bilanz

Kia erweitert das Elektro-Portfolio um ein weiteres Modell – allerdings diesmal abseits der SUV-Flut. Der Kia EV 4 positioniert sich als elektrische Alternative zum erfolgreichen Ceed im hart umkämpften Kompaktsegment. Doch bereits der erste Eindruck offenbart Widersprüche zwischen Anspruch und Realität.

Design: Zwischen Kompaktwagen und Crossover-Ambitionen

Das Erscheinungsbild des Kia EV 4 verwirrt. Die Schrägheckversion mit markanter Gürtellinie und voluminöser Motorhaube könnte problemlos als Crossover durchgehen – eine fragwürdige Designentscheidung für einen Kompaktwagen.

Kia EV4

Noch irritierender wirkt die Fastback-Variante mit ihrem unproportional wirkenden Heckaufbau, der die angestrebte Eleganz verfehlt. Erst im Innenraum wird deutlich: Die niedrige Sitzposition und das handliche Format bestätigen die Kompaktwagenklasse.

Marktposition: Besinnung auf bewährte Segmente

Während SUVs die Straßen dominieren, behauptet sich das Kompaktsegment mit 19 Prozent Marktanteil in Deutschland. Hier versucht der Kia EV 4 anzuknüpfen – erstmals als in Europa produziertes Elektromodell aus dem slowakischen Werk Zilina. Eine strategisch sinnvolle Entscheidung, die Transportkosten senkt und lokale Wertschöpfung fördert.

Abmessungen und Varianten: Platz gegen Praktikabilität

Mit 4,43 Metern Länge, 1,86 Metern Breite und 1,49 Metern Höhe bewegt sich der Kia EV 4 im Mittelfeld der Kompaktklasse. Der großzügige Radstand von 2,82 Metern schafft beachtliche Platzverhältnisse.

Kia EV4

Die Fastback-Version streckt sich auf 4,73 Meter und wirkt optisch gefälliger, büßt jedoch Flexibilität beim Gepäckraum ein. Der klassische Kofferraumdeckel erschwert das Beladen erheblich – ein praktischer Nachteil für einen vermeintlichen Premiumcharakter.

Preisgestaltung: Ambitioniert kalkuliert

Die Preise beginnen bei 37.590 Euro für die Basisversion Air. Die mittlere Earth-Ausstattung kostet 39.890 Euro, während die GT-Line bei mindestens 49.440 Euro startet. Der Fastback beginnt bei 41.490 Euro – ausschließlich in der Earth-Ausstattung. Diese Preisstruktur positioniert den Kia EV 4 deutlich über etablierten Kompaktwagen-Konkurrenten.

Reichweite: Theorie versus Praxis

Kia bewirbt den Kia EV 4 mit bis zu 625 Kilometern Reichweite nach WLTP-Norm – in der optimalen Konfiguration mit 81,4-kWh-Akku und 17-Zoll-Bereifung. Die Realität ernüchtert: Im Praxistest lag der Verbrauch zwischen 18 und 20 Kilowattstunden pro 100 Kilometer, was realistische 450 Kilometer ergibt. Die Diskrepanz zwischen beworbener und tatsächlicher Reichweite bleibt erheblich.

Kia EV4

Die kleinere Batterie mit 58,3 kWh verspricht normgerecht 440 Kilometer – im Alltag dürften Fahrer deutlich häufiger Ladestopps einlegen müssen. Diese Reichweitenproblematik schmälert die Alltagstauglichkeit erheblich.

Fahrverhalten: Solide Durchschnittsleistung

Der Frontmotor mit 204 PS und 283 Nm Drehmoment bewältigt Alltagsanforderungen angemessen. Die Beschleunigung von null auf 100 km/h in 7,5 Sekunden wirkt zeitgemäß, ohne zu begeistern. Das auf Komfort ausgelegte Fahrwerk zeigt in schnellen Kurven neutrales Verhalten, vermittelt jedoch wenig Fahrspaß.

Autobahntauglichkeit mit Einschränkungen

Auf der Autobahn präsentiert sich der Kia EV 4 souverän und leise, erreicht jedoch nur 170 km/h Höchstgeschwindigkeit. Für Vielfahrer mit regelmäßigen Langstrecken erweist sich diese Begrenzung als nachteilig, zumal höhere Geschwindigkeiten die ohnehin optimistische Reichweite drastisch reduzieren.

Anzeige

Stadtverkehr: Überzeugende Alltagsqualitäten

In der City spielt der Kia EV 4 seine Stärken aus. Die gute Übersichtlichkeit und effektive Rekuperation erleichtern den Stadtverkehr. Das i-Pedal-System ermöglicht komfortables One-Pedal-Driving – sogar im Rückwärtsgang. Nach kurzer Eingewöhnung gelingt die Bedienung mit dem rechten Fuß, was Verbrauch und Fahrkomfort optimiert.

Die leichtgängige, aber wenig kommunikative Lenkung und der akzeptable Wendekreis von 10,86 Metern unterstützen die Stadtmobilität. Kamera- und Assistenzsysteme kompensieren fehlende Rückmeldungen beim Rangieren.

Ladetechnik: Pragmatisch, aber nicht zukunftsweisend

Die 400-Volt-Architektur des Kia EV 4 ermöglicht Ladezeiten von 10 auf 80 Prozent in etwa 30 Minuten – solide Mittelklasse ohne Innovationssprung. Im Vergleich zu den Konzernbrüdern EV6 und EV9 mit ihren deutlich schnelleren Ladezeiten wirkt diese Lösung bereits veraltet.

Das Plug&Charge-System und der integrierte EV-Routenplaner versprechen Komfort, während Kia Charge Zugang zu knapp einer Million europäischen Ladepunkten bietet. Diese Infrastruktur-Anbindung funktioniert in der Praxis zuverlässig.

Innenraum: Moderne Technik mit Bedienungsschwächen

Das aufgeräumte Cockpit dominiert ein breites Panoramadisplay. Die grundlegende Bedienung gelingt intuitiv, doch wichtige Funktionen verschwinden in verschachtelten Menüstrukturen – ein bekanntes Problem moderner Touchscreen-Interfaces.

Raumangebot: Überraschend großzügig

Der großzügige Radstand zahlt sich aus: Auch Fondpassagiere genießen beachtliche Beinfreiheit. Das Kofferraumvolumen von 435 bis 1.415 Litern übertrifft Klassenstandards, die Anhängelast von 1.000 Kilogramm erweitert die Einsatzmöglichkeiten erheblich. Der Fastback bietet 490 bis 1.435 Liter, erschwert jedoch durch die kleine Heckklappe das Beladen merklich.

Infotainment: Zeitgemäß mit Einschränkungen

Der KI-Assistent versteht Standardbefehle in natürlicher Sprache zuverlässig, stößt bei komplexeren Anfragen jedoch an Grenzen. Entertainment-Pakete mit Musikstreaming, Netflix und Gaming-Optionen verkürzen Ladepausen angenehm. Das beworbene In-Car-Payment bleibt auf wenige Anwendungsfälle beschränkt und wirkt noch nicht ausgereift.

Assistenzsysteme: Üppige Ausstattung mit typischen Macken

Bereits die Basisversion Air bietet umfangreiche Sicherheitstechnik – von adaptivem Tempomat bis Müdigkeitserkennung. Höhere Ausstattungsvarianten erweitern das Arsenal um Autobahnassistenten und ferngesteuertes Einparken.

Kia EV4

Die praktische Umsetzung überzeugt grundsätzlich, zeigt jedoch branchentypische Eigenarten: Der Spurhalteassistent interveniert oft zu aggressiv, Geschwindigkeitswarnungen wiederholen sich penetrant. Immerhin lassen sich störende Funktionen schnell deaktivieren.

Fazit: Solider Kompromiss mit Optimierungsbedarf

Der Kia EV 4 positioniert sich bewusst jenseits der Billig-Stromer-Kategorie und strebt den direkten Vergleich mit Mittelklasse-Verbrennern an. Diesen Anspruch erfüllt er teilweise: Das Raumangebot überzeugt, die Verarbeitung stimmt, die Ausstattung ist zeitgemäß.

Kritische Punkte bleiben jedoch bestehen: Die erhebliche Diskrepanz zwischen beworbener und realer Reichweite, die mittlerweile veraltete Ladetechnik und das wenig stimmige Design schwächen den Gesamteindruck. Als Beweis für die Machbarkeit elektrifizierter Kompaktwagen taugt der Kia EV 4 durchaus – als überzeugende Alternative zu etablierten Konkurrenten bedarf er noch Nachbesserungen.(we/aum)(Fotos: Kia/Frank Wald/aum)

Anzeige