Mehr Reichweite, mehr Ausstattung, optimiertes Fahrwerk soll unsere Test Yamaha Ténéré 700 World Raid haben. Mit der neuen Ténéré 700 World Raid lässt Yamaha jetzt die dritte Version des begehrten Mittelklasse-Adventure-Bikes anrollen. Die World Raid kann alles noch ein bisschen besser als ihre beiden Geschwister – und vor allem länger.
So viel ist klar: Die „T7“ World Raid meint es ernst mit ihren Gelände-Ambitionen. 230 Millimeter Federweg vorn, 220 mm hinten – das sind jeweils 20 mm mehr als bei der Ténéré 700 und Ténéré 700 Rally Edition.
Damit hat die World Raid exakt so viel Federweg zu bieten wie die ebenfalls brandneue Ducati Desert X, der direkte, wenn auch leistungsstärkere und teurere Konkurrent aus Borgo Panigale (110 PS, ab 15 990 Euro).
Hochbeiniger als dieses Neuheiten-Duo tritt nur die Triumph Scrambler 1200 XE an mit ihren 250 mm Federweg vorn wie hinten.
Die extrabreiten Offroad-Fußrasten der Test Yamaha Ténéré 700 World Raid mit herausnehmbarem Gummi muten an wie ein Steigbügel. Offroad-Stiefel finden darauf besten Halt. Der Seitenständer lässt sich leicht ein- und ausklappen.
Die Sitzhöhe liegt bei stolzen 890 Millimetern. Auf der World Raid ist jeglicher Untergrund 15 Millimeter weiter entfernt als auf den Ténéré-Geschwistern. Die Bodenfreiheit beträgt stolze 255 mm.
Die schmale, flache Rallye-Sitzbank gefällt mit angenehmer Härte. Sie bietet Platz für zwei Personen und verjüngt sich den breiten Doppeltank hinauf. Das zweiteilige Polster mündet erst kurz unterhalb der beiden (!) Tankeinfüllstutzen der World Raid.
Charmanter Effekt: Bei längeren Überfahrten kann man seinen Ellenbogen hier angenehm weich betten, wenn man es sich hinter dem Windschild bequem macht, um per Tempomat ein bisschen Strecke abzuspulen.
Das Ziel der Test Yamaha Ténéré 700 World Raid – Strecke machen
Stichwort Strecke machen: Das ist eine der Stärken der neuen Ténéré. 23 Liter fassen die beiden Kraftstoffbehälter, die sich recht ausladend, aber bestens equilibriert zum Tank vereinen. Durch die Zweiteilung wird das Schwappen des Benzins reduziert, so Yamaha.
Das soll bei Kurvenfahrten für mehr Ruhe sorgen und die Gewichtsverteilung optimieren. Bei einem offiziellen Verbrauch von 4,3 Liter auf 100 Kilometer ermöglicht der Doppeltank rein rechnerisch eine Reichweite von über 500 Kilometern.
Unser Testverbrauch auf der rund 340 Kilometer langen Strecke – knapp die Hälfte davon offroad – lag bei 4,8 Litern. Das ergibt immer noch 480 Kilometer ohne Tankstopp. Genug also, um auch mal wüste Etappen zu durchqueren, ohne aus Angst vor Treibstoffflaute ins Schwitzen zu geraten.
Der Motor unserer Test Yamaha Ténéré 700 World Raid ist ein alter Bekannter. Der CP2-getaufte Crossplain-Reihenzweizylinder arbeitet eins zu eins in der gesamten Mittelklasse von Yamaha. MT-07, Tracer 7, XSR700, R7 und Ténéré – alle Midsize-Modelle greifen auf den großartigen 73-PS-Motor mit der charakteristischen 270-Grad-Kurbelwelle zurück.
Mehr als 221.000 Motorräder hat Yamaha bereits damit bestückt. Direkte Gasannahme, kraftvolle Beschleunigung, hohe Drehfreude, linearer Drehmomentverlauf, dazu in diesem Fall der kernige Adventure-Sound – dieser Zweizylinder macht einfach glücklich, auch wenn er hier 16 Kilogramm Mehrgewicht in Bewegung setzen muss.
Mit 220 Kilogramm Fahrgewicht ist die Test Yamaha Ténéré 700 World Raid mit Abstand die schwerste CP2-Maschine. Die MT-07 wiegt schlappe 184 Kilo, R7 und XSR700 kommen auf 188 kg, die Ténéré auf 204 kg, die Tracer 7 GT auf 210 kg.
Egal. Die Pfunde sind bestens verteilt, das Mehr an Fahrwerkstechnik und Tankvolumen – plus sieben Liter im Vergleich zur Ténéré – fordert seinen Tribut in erster Linie auf dem Papier.
Das famose neue Fahrwerk der World Raid dürfte Ténéré-Fahrern die Tränen in die Augen treiben: Es bleibt diesem Modell vorbehalten, nachrüsten ist nicht. Bedeutet: Wer in den Genuss des World-Raid-Komforts kommen will, muss durchtauschen.
Sorry und ehrlich: Die Globetrotter-Variante fährt sich so viel besser als ihre Geschwister, dass man fast denken könnte, es mit einem völlig anderen Bike zu tun zu haben.
Die vordere KYB-Gabel (43 mm) und das hintere, über ein Hebelsystem angelenkte KYB-Federbein – beide vollständig einstellbar (Federwege, Zug- und Druckstufen) – machen einen fantastischen Job. Über Bodenwellen und Buckelpisten gleitet die World Raid mit der Unerschütterlichkeit eines Luftkissenboots.
Selbst Bandscheibenpatienten kommen lächelnd ans Ziel, jede Wette. Asphalt, Schotter, Kies, steinige Passagen – die World Raid performed auf jedem Untergrund schlicht genial und vermittelt dem Fahrer ein sehr sicheres, souveränes Gefühl.
Daran haben auch die aufgezogenen Pirelli-Scorpion-Rally-Reifen gehörigen Anteil. Und natürlich das 21-Zoll-Vorderrad, das bei der Ténéré grundsätzlich Serie ist.
Die 68 Newtonmeter Drehmoment schieben die 220-kg Test Yamaha Ténéré 700 World Raid Maschine mühelos an. Der CP2 gibt einem jederzeit das Gefühl, Herr der Lage zu sein. Direkt in der Gasannahme, herrlich leichtfüßig, perfekte Stehposition – hier geht wirklich einiges.
Und das ganz und gar ohne elektronischen Firlefanz. Wie bei den Midsize-Gefährten belässt Yamaha es auch hier beim vorgeschriebenen ABS als einzigem Elektronikhelfer. Alles andere muss der Fahrer regeln.
Motormodi oder Traktionskontrolle sind nicht mit an Bord. Auch kein Quickshifter. Dafür gibt es einen 18-fach verstellbaren Lenkungsdämpfer von Öhlins, der zusätzlich Ruhe und Stabilität ins Vorderrad bringt und eine bessere Kontrolle ermöglichen soll, speziell im Gelände.
Jedenfalls an unserer Test Yamaha Ténéré 700 World Raid – Verzicht auf technischen Firlefanz
Komplett aktiviert (Modus 1), hinten aus (Modus 2), vorn und hinten aus (Modus 3) – das sind die drei Wahlmöglichkeiten, die der Fahrer beim ABS hat, allerdings nur im Stand. Das Menü dafür wird Yamaha-typisch über ein Scrollrad rechts am Lenker angesteuert. Zu viel Staub bekommt dem filigranen Teil leider nicht so gut: Bei unseren Testfahrten mühten sich einige Kollegen redlich, je nach Untergrund die ABS-Einstellung anzupassen.
Das erforderliche „Bestätigen“ durch Druck aufs Scrollrad führte allerdings mehr als einmal zum Sprung in den nächsten Menüpunkt statt zur gewünschten Aktion. Das funktioniert bei anderen Yamaha-Modellen wie der neuen XSR 900 deutlich besser. Gleichwohl: Ein Spritzer WD 40 dürfte das Problem lösen.
Die Bremsen des Test Yamaha Ténéré 700 World Raid Bikes machen ihren Job in jeder Fahrsituation ausgesprochen gut und verlässlich. Vorn hat auch die World Raid wie gehabt eine hydraulische Doppelscheibenbremse mit 282 mm Scheibendurchmesser, ums Hinterrad kümmert sich bei allen Ténéré eine 245-mm-Einzelscheibe. Schalten ist ein großer Spaß: Rauf wie runter rasten die sechs Gänge präzise und schnell ein. Auch das neue Fünf-Zoll-TFT-Farbdisplay überzeugt.
Es steht aufrecht wie bei „echten“ Wettbewerbsmaschinen und ist mit der Communication Control Unit (CCU) des Motorrads verbunden. Dadurch kommuniziert es mit Yamahas kostenloser My-Ride-App. Der Fahrer wird über eingehende Textnachrichten und Anrufe informiert, kann Strecken tracken und teilen, den Spritverbrauch errechnen lassen und einiges mehr.
Drei unterschiedliche Darstellungen stehen zur Wahl. Das „Explorer“-Bildschirmlayout zeigt ein modernes, digitales Design, das alle wichtigen Betriebsdaten des Motorrads leicht lesbar darstellt. Der „Street“-Bildschirm zeigt einen Drehzahlmesser als Rundinstrument und erinnert an den traditionellen Look der analogen Ära.
„Raid“ ist von einem Roadbook aus dem Rallyesport inspiriert. Zwei Countdown-Tripmeter zeigen dem Fahrer die Entfernung zum nächsten Wegpunkt an. Rechts am Cockpit ist ein USB-Anschluss als Stromversorgung für Navigationssysteme oder mobile Geräte.
Das Design des Bikes ist unübersehbar vom Rallye-Sport inspiriert. Zu den World-Raid-Neuerungen neben Doppeltank und Fahrwerk gehören das um 15 Millimeter höhere Windschild mit weiter abstehenden Seitenabweisern, kleine LED-Blinker, ein dreiteiliger Alu-Motorschutz und der Kühlergrill.
Jede dritte Ténéré dürfte künftig in dieser Version auf die Straße kommen. Yamaha geht beim Modellmix von 35 Prozent aus für die World Raid, 25 Prozent für die Rally Edition und 40 Prozent für die T7.
Mehr als 20.000 Einheiten wollen die Japaner dieses Jahr absetzen. Größter EU-Markt war im vergangenen Jahr Italien (18,7 Prozent) vor Deutschland (16,0 %) und Frankreich (14,3 %). Seit Einführung der Ténéré in 2019 hat sich der Absatz von Adventure Bikes mit 600 bis 900 Kubikzentimetern Hubraum mehr als verdoppelt – von 19.000 Einheiten in 2018 auf 52.000 Stück in 2021. Mehr als 30.000 davon macht die Ténéré aus.
Als ebenbürtige Nachfolgerin der legendären XT 600 Ténéré aus den 1980er-Jahren begeistert die neue Yamaha in erster Linie aus Rally-/Endurofahrer, Globetrotter und Commuter. Das Erfolgskonzept aus drehmomentstarkem Reihenzweizylinder, geringem Gewicht, hoher Zuverlässigkeit und coolem Adventure-Design findet zunehmend Nachahmer.
Die Fangemeinde speziell der Ténéré dürfte mit der World Raid weiter zulegen. Yamaha begehrt für sein Bike der unbegrenzten Möglichkeiten 12.874 Euro in Icon Blue oder Midnight Black. Damit ist sie 500 Euro teurer als die Rally Edition und kostet 2100 Euro mehr als die Ténéré 700.
Als Extra für unsere Test Yamaha Ténéré 700 World Raid gibt es drei Ausstattung-Pakete (Enduro, Adventure, Explorer) und jede Menge veredelte Anbauteile. (we/Ralf Bielefeldt, cen)(Fotos: Autoren-Union Mobilität/Yamaha)
Daten Test Yamaha Ténéré 700 World Raid
Antrieb: R2, Viertakt, 689 ccm, Kette, 6 Gänge
Leistung: 54 kW / 73 PS bei 9000 U/min
Max. Drehmoment: 68 Nm bei 6500 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 186 km/h
Beschleunigung 0-100 km/h: k.A.
Tankinhalt: 23 Liter
Sitzhöhe: 890 mm
Gewicht: 220 kg (fahrbereit)
Normverbrauch: 4,3 l/100 km
CO2-Emissionen: 100 g/km
Testverbrauch: 4,8 l/100 km
Bereifung: 90/90-21 (v.), 150/70-18 (h.)
Preis: 12.874 Euro (+ NK je nach Händler)