Wie eine Alufelge entsteht


einzelteile einer felge. foto: autodino/cargraphic


Räderskulpturen für Ästheten und Performer
Eine Alufelge erwacht zum Leben

Fast alle Autofahrer erfreuen sich an attraktiven Leichtmetallrädern, doch nur wenige vermuten hinter den „Schmuckstücken“ für den Radkasten auch ein Hightech-Produkt: Schließlich gehören Schmiede- und Gusstechniken zu den ältesten Handwerken unserer Zivilisation. Wer jedoch einmal die Produktion eines Premium-Leichtmetallrades miterlebt hat, erliegt bald auch der Faszination seiner aufwändigen Herstellung. „Wir sind als einer der ganz wenigen Tuner in der komfortablen Lage, unsere Räder selbst zu produzieren“, erklärt Michael Schnarr, der zusammen mit seinem Bruder Thomas die Geschäfte des Sportwagen-Veredlers Cargraphic führt: „Das gibt uns maximale Kontrolle über den Herstellungsprozess.“…

foto: autodino/cargraphic

Bevor der Besucher die Fertigung in Rheinland-Pfalz betritt, hat er meist eine Art bessere „Konservendosenfabrik“ vor dem geistigen Auge, wo die Erzeugnisse im Sekundentakt aus Stanz- und Fräsautomaten purzeln. Die Wahrheit erinnert an eine Art Hightech-Künstlerstudio, nur dass die Skulpturen hier nicht von Menschen, sondern von einer riesigen Fräsmaschine mit dem Namen HELLER geformt werden. Bei ihrem Schaffen hat sie keine Eile, sondern die absolute Präzision als Ziel. Rund 90 Minuten liegt ein Felgenstern auf der „Staffelei“, bis aus einem 18 bis 28 Kilo schweren Scheibenrohling das nur noch fünf bis neun Kilo wiegende Mittelteil herausgeschält ist. Am Ende öffnet sich der gewaltige Bauch, der jeweils nur ein Bauteil verdaut, und gibt sein Werk für den nächsten Bearbeitungsschritt frei. Präzision ist während des gesamten Prozesses nicht nur aus ästhetischen Gründen unabdingbar. „Um die ungefederten Massen am Auto gering zu halten, wird der Aufbau eines Rades bei uns am Computer bis ins letzte Detail optimiert“, erklärt Michael Schnarr. „So wollen wir jeglichen negativen Einfluss auf das Fahrverhalten ausschließen und können gleichzeitig eine hohe Festigkeit garantieren.“ Die clevere Diät mittels FEM-Berechnung setzt sogar da an, wo man es nicht sieht. Beim Cargraphic GTR etwa finden sich überall verborgene Erleichterungstaschen. Für den Felgendesigner hat dies den Vorteil, dass er bei der Formgebung des Sterns in seiner künstlerischen Freiheit kaum eingeschränkt ist, da selbst voluminöse Entwürfe umgesetzt werden können, ohne Speck anzusetzen.

schleifen. foto: autodino/cargraphic

Auf der nächsten Station hängt ein gewaltiger Bohrkopf wie ein Damoklesschwert über dem Radfragment – und in der Tat entscheidet sich hier das Schicksal der Felge in Spe. Denn hier erhält sie ihren Lochkreis und damit ihren späteren Einsatzort zugewiesen. „Da die Produktion quasi vor unserer Haustür liegt, können wir hier sehr flexibel reagieren, was die Bandbreite und schnelle Verfügbarkeit betrifft. Dies garantiert selbst bei exotischen Fahrzeugen kurze Lieferfristen“, so Schnarr stolz. Parallel zum Stern werden auch Innen- und Außenschüssel bearbeitet und für die Hochzeit vorbereitet. Mittlerweile sind alle Bauteile von Spänen befreit und grob entgratet, doch noch gehen sie getrennte Wege.

heller fräse. foto: autodino/cargraphic

Nun wartet eine Apparatur auf die Radkomponenten, die aussieht wie der Energiestrahler mit dem einst James Bond in zwei Hälften geschnitten werden sollte; und tatsächlich handelt es sich um einen Laser. Da ist der Zuschauer fast enttäuscht, dass statt Auric Goldfinger nur Werksleiter Andreas Birkenhauer ums Eck schlendert. Auch die Messlanze der Zeiss CNC-Koordinaten-Messmaschine kann weder Mensch noch Aluminium ein Härchen krümmen, ihre Aufgabe ist es, die Präzision der vorangegangenen Arbeitsschritte auf den Millimeterbruchteil zu überprüfen. Es handelt sich dabei um keine Stichprobe, sondern um eine so genannte
100-Prozent-Prüfung, sprich, keine Felge kann sich dem Kontrollprozess entziehen. Das Cargraphic-Rad oder seine Bestandteile liegen dabei auf einem altarähnlichen Marmortisch: Das erlesene Material hat den Vorteil, dass es sich bei unterschiedlichen Temperaturen kaum verzieht und somit einem akkuraten Ergebnis zuträglich ist. Keine Frage, dass Birkenhauer von seinem jüngsten „Baby“ im Maschinenpark mächtig begeistert ist. Doch noch viel lieber erzählt er mit von Vaterstolz schwerer Brust von seiner Schleif- und Polieranlage, die er mit seinen Angestellten zusammen selbst entwickelt hat: „So etwas gibt es in dieser Form nirgendwo anders“, meint auch Michael Schnarr und unterstreicht die besonders hohe Oberflächenvergütung der Cargraphic-Räder. Wer diesen Teil der Anlage mit ihren zahlreichen runden Bottichen zum ersten Mal sieht, denkt zuerst an eine Forellenfarm. Doch der Geruch hat so gar nichts Fischiges und in den Zubern plätschert statt Wasser Keramikgranulat, das die Form von Pyramiden und Kegeln sowie verschiede Härtegrade besitzt – das Poliermittel. Auf Knopfdruck rauscht der Felgenstern hier in die Tiefe, um geraume Zeit später glänzender als zuvor an die Oberfläche zurückzukommen. Bottich für Bottich setzt sich diese Prozedur mit immer feinerer Politur fort.

Der Clou der Anlage ist das selbst entwickelte Austauschsystem des Granulats: Haben sich die Pyramiden und Kegel am Aluminium aufgerieben, flutschen sie automatisch durch ein feines Sieb und werden der Entsorgung zugeführt. So müssen die Bottiche nur von Zeit zu Zeit nachbefüllt werden. Ein letztes Mal taucht der Felgenstern auf und strahlt dabei als wäre er die Venus von Milo. Und entsprechend zart fallen die letzten Streicheleinheiten in der manuellen Nachbearbeitung aus. Auch die weiteren Komponenten glänzen mittlerweile blitzblank und bald schon werden sich alle das Jawort geben. Doch zunächst heißt es ab in die Lackiererei. Je nach Kundenwunsch kann fast jeder Farbwunsch umgesetzt werden. „Besonders beliebt ist zur Zeit bei Aston Martin-Räder aktuell der Felgenstern in Wagenfarbe Casino Royale“, schmunzelt Geschäftsführer Schnarr. Heute muss es schnell gehen, ein Kunde hat eine Sonderbohrung sowie einen Spezialton geordert und kann es kaum erwarten, die Räder auf seinen Sportwagen zu kriegen.

felge Cargraphic GTR. foto: autodino/cargraphic

Der Cargraphic-VW-Bus darf Hochzeitsauto spielen und Michael bringt die Einzelkomponenten persönlich ins Hauptquartier, wo ein spezieller Montagetisch als „Traualtar“ dient: „Erst der Felgenstern, dann die Edelstahlaußenschüssel und dann das Innenbett – fertig ist die Ménage à trois“, erklärt Michael Schnarr mit einem Lächeln auf den Lippen. Doch halt, eine letzte Bewährungsprobe soll klären, ob auch alles fehlerfrei gefügt ist. Das Gleichlaufgerät, auf welchem das fertige Rad in Rotation gebracht und dabei ein letztes Mal vermessen wird, meldet: alles im Lot, alles ok, fertig zum Versand. Und nach kurzen Flitterwochen im Paket wartet ein erfülltes Leben an der Seite eines attraktiven Sportwagens auf das frisch gebackene Leichtmetallrad vom Typ Cargraphic GTR. (we)

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